Mittwoch, 19. August 2015

Fischen an der chinesischen Grenze und Igor vom Autodach

An meinem zweiten Tag in Chabarowsk treffen wir uns um 12 Uhr - ach nein, dann kam irgendwas dazwischen und dann musste man noch in die Autoreparatur und dann noch was und noch was, und dann ist es irgendwann halt ca. 17 Uhr. Ziel: auf die Rybalka (Fischen gehen) an den Ussuri unweit der chinesischen Grenze zu fahren. Der Ussuri, der Grenzfluss gen China nach Westen, fließt wenige Kilometer weiter in den Amur (der Amur grenzt China von Russland im Norden ab) und macht daraus einen Strom, der so breit ist, dass man erst denkt, man wäre an einem länglichen See.


Wir setzen uns zu sechst in den Honda meines Bekannten, zwei vorne, vier hinten, eng, aber geht noch. Fahren zunächst auf den Markt und kaufen einen riesigen lachsähnlichen, blutenden Fisch, da wir trotz Angeln nicht davon ausgehen, irgendwas selbst zu fangen (was de facto dann auch so war). Dann geht es in den Supermarkt, dann fahren wir auf einer gut renovierten sechsspurigen Straße nach draußen - vorbei an zwei Verkehrsunfällen (die breite, lochlose Straße motiviert eventuell zum Rasen) - in ein Einkaufszentrum, wo wir noch einen Grillrost besorgen.




Die Straße wird schmaler und holpriger, irgendwann biegen wir rechts ab auf einen von Schlaglöchern übersäten Waldweg, die ganze Zeit läuft laute, aber gute Drum-n-Bass-Musik - der Fahrer ist DJ und telefoniert unentwegt mit einer Hand, mit der anderen hält er das Lenkrad, das wie bei allen japanischen Autos hier auf der rechten Seite ist. Im Osten Russlands sind fast alle japanischen und koreanischen Autos (man sieht praktisch keine russischen oder westeuropäischen Autos) direkte Importe von Privatfirmen. Da man in Japan links fährt, haben diese Autos das Lenkrad entsprechend rechts. Sehr merkwürdig, damit auf der rechten Seite zu fahren, weil man nach links hinten und vorne einen recht schlechten Blick hat. Daher bauen sich viele noch einen dritten Rückspiegel links vorne auf die Haube.

Es gibt auch übrigens praktisch nur japanische und koreanische Autos. Ich habe mal eine Stunde lang die anderen Marken gezählt, es waren glaube ich ein Lada, ein BMW und ein Mercedes, der Rest alles Asiaten.

Vor ein paar Jahren hat die russische Regierung ein Gesetz erlassen wollen, dass diese Lenkräder auf der rechten Seite aus Sicherheitsgründen verbietet. Dagegen gab es so starke Proteste hier in Fernost, dass das Gesetz fallengelassen wurde - praktisch jeder Autobesitzer hätte sein Auto wechseln müssen.

Ein Video, wie sich das auf diesem Weg anfühlt:


Irgendwie ist es gar nicht so unbequem zu viert auf dem Rücksitz, die jungen Russen hier sind aber auch allesamt schlank und natürlich-sportlich (nicht der Typ Fitness-Studio-Muskelproll, der in Zürich zum Allgemeinplatzhirsch geworden ist), Männer wie Frauen. Die junge gebildetere Generation raucht und trinkt weniger, achtet auf gesundere Ernährung etc., wie man das ja aus dem Westen kennt. Sie sehen jedenfalls alle sehr gesund aus.

Es laufen auch hier überall streunende Hunde rum. Einer läuft fast ins Auto (einen kann man auch in dem Video oben sehen). Es hat vorhin geregnet, daher sind die Schlaglöcher voller Pfützen, und es spritzt nach allen Seiten.

Irgendwann kommen wir zum sandigen Ufer des Ussuri. Wir fahren das Ufer entlang, einfach so, ohne Straße, in Schlangenlinien um das Treibholz herum, und halten dann irgendwo an, wo wir einen guten Platz zum Grillen vermuten.

Wir sammeln Treibholz zusammen, machen Feuer (hatte ganz vergessen, dass das auch ohne Spiritus und Helferlein geht) und warten. Es ist recht viel Müll am Ufer gestrandet, an der Schrift kann man erkennen, dass das meiste aus China stammt. "Die Chinesen verschmutzen unseren Fluss", hört man immer wieder. Selbst die hinsichtlich Müllentsorgung eher nachlässigen Russen stören sich an der angeblich noch viel sorgloseren Art der Chinesen, die einfach etwas kauften, äßen und dann die Verpackung einfach auf die Straße oder in den Fluss würfen.







Igor zerschneidet den Fisch und legt ihn auf den Grill, Gurken, Paprika und Brot gibt es auch. Interessanterweise keinen Alkohol, nur Wasser. Später kommen etwas verwegen aussehende Freunde nach, zwei Typen und zwei Frauen, sie haben eine Flasche Weißwein dabei, aber nichts zu essen. Daher kriegen sie auch nichts ab von dem Fisch, der gerade so für uns sechs reicht. Sie sind die einzigen, die rauchen.









Der Fisch ist dann irgendwann fertig, wir essen ihn, er schmeckt gut, nur das Salz haben wir vergessen. Ich bin ja kein Romantiker, aber der Sonnenuntergang hier auf diesem stillen, glatten Fluss mit seinem Treibholz allerortens ist der schönste, den ich je gesehen habe. Zum ersten Mal verschicke ich Postkarten mit Sonnenuntergängen drauf.









Irgendwann wird es dunkel und kälter, die Schnaken werden zahlreicher und aggressiver. Wir können den DJ/Fahrer endlich überreden, doch nicht mehr auf den Freund zu warten, der in "nur einer Stunde" (das kann hier irgendwas zwischen einer und drei Stunden bedeuten, eine Stunde ist jedenfalls sehr optimistisch :)) kommen will, und fahren zurück.

Igor klettert bei voller Fahrt aufs Autodach
Auf dem Rückweg darf ich dann vorne sitzen, wahrscheinlich, weil ich der Fetteste bin, vielleicht aber auch nur, weil sie nett sein wollen zu dem merkwürdigen Gast.

Auf einmal - wir fahren ungefähr 90 auf einer leicht holprigen, schnurgeraden Straße, ruft die Rückbank: "Igor katalsja na kryschy!" (Igor ist aufs Dach geklettert!). Ich schaue nach hinten. Igor saß bis vor kurzem da noch rechts außen. Ich sehe ihn nicht. Ich denke, das ist ein Witz, wahrscheinlich hat er sich irgendwie hinter dem Fahrersitz versteckt oder ist in den Kofferraum geklettert.

Eine der Mitfahrenden streckt den Kopf weit zum Fenster raus und steht auf, sodass sie aufs Dach schauen kann. Ihre Sonnenbrille fällt ihr vom Kopf, wir finden sie später nicht wieder. Sie schlängelt den Kopf wieder zurück ins Auto und schreit: "Smotrij sam! Smotrij sam!! On na kryschy!" (Schau selber! Er ist auf dem Dach!). Ich warte, bis der Gegenverkehr vorbei ist, strecke auch meinen Kopf weit aus dem Fenster, stehe auf, so gut das in einem fahrenden Auto geht, und schaue auf das Dach.

Dort sitzt - tatsächlich! - Igor, der sich rechts und links an den Fahrradständern festhält. Wir fahren noch immer gut 80 km/h. Ich kann es nicht fassen und schreie: "Igor! Ty sumaschedschij!" (du bist wahnsinnig!). Kurze Zeit später beginnt der Fahrer/DJ langsam zu bremsen und nach und nach anzuhalten. Eine schnelle Bremsung wäre zu gefährlich für Igor. Wir halten an, Igor kommt wieder runter, das Dach ist von seinem Gewicht nach unten durchgebogen. Kein Problem hier, das Auto ist ja nicht mehr das neueste. Der Fahrer schlägt einfach von unten gegen das Dach und die Delle ist wieder so halb draußen. 

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